Neulich viel es mir wieder auf: manche Farbtonfelder in InDesign haben einen Farbstich. Ein Tortendiagramm sollte in verschiedenen Helligkeits-Abstufungen eines dunkelblauen Grundfarbtons (C=100 M=90 Y=0 K=0) eingefärbt werden. Das geht am einfachsten mit den InDesign-Farbtonfeldern: die Abstufungen werden in Prozent des Grundtons angegeben, aus 60% werden entsprechend C=60 M=54 Y=0 K=0. Farbtonfelder sind sehr praktisch, denn wenn der Ausgangsfarbton nachträglich geändert wird, ändern sich auch die Abstufungen. Doch in meinem Fall hatten einige Kuchenstücke einen Violett-Stich.
Ich will nicht übertreiben, der Farbstich ist isoliert gesehen nicht dramatisch, aber und wenn man ihn einmal im Vergleich zur korrigierten Version gesehen hat, stört er schon. Um den Farbstich zu entfernen habe ich von Hand optisch angepasste Farbfelder mit etwas weniger Magenta definiert (C=60 M=47 Y=0 K=0).
Tortendiagramm und Verlauf mit InDesign-Farbfeldern mit Farbstich und Helligkeitsabstufungen mit optischer Korrektur.
Ganz locker ließ mich der Effekt aber doch nicht, und so begab ich mich auf die Suche nach der Ursache. Zunächst hatte ich die Farbtonfeld-Funktion von InDesign in Verdacht. Aber auch eigens angelegte Farbfelder mit dem 60-54-0-0 Werten hatten den Farbstich. Selbst ein Verlauf von Dunkelblau nach Weiß war betroffen. Und auch bei anderen Farbtönen trat das Phänomen auf: bei roten Grundfarben waren die Abstufungen scheinbar nach orange verschoben. Ob ich CMYK, RGB, Lab oder Sonderfarben als Ausgangsfarbton nutzte, machte dabei kaum einen Unterschied.
Ich habe dann erstmal mein Color-Management gecheckt: Monitorkalibrierung, Farbeinstellungen, Dokument-Farbprofil, Transparenzfüllraum, Überdruckenvorschau etc. –Â alles OK. Auch meine Kollegen konnten den Effekt auf anderen Rechnern und Monitoren sehen. Also kein lokales Problem – und keins mit meinen Augen.
Das solche Farbstiche im Druck durch die nicht perfekten Druckfarben, die Papierfärbung etc. entstehen können ist logisch – das sollte ja das Color-Management und entsprechende ICC-Profile ausgleichen –Â aber hier sind ja schon die Ausgangsfarben in InDesign verfälscht.
Also noch mal an die Ausbildung und Prüfung erinnert: im medienneutralen HSB/HSV-Farbmodell kann man die Helligkeit (brightness) unabhängig von Farbton/Buntton (hue) und Sättigung (saturation) steuern – soweit die Theorie. Ich habe also im Photoshop-Farbwähler meine CMYK-Werte eingegeben und den B-Regler hochgedreht. Das Ergebnis war ernüchternd: auch hier bekam das Blau den Farbstich.
Nach längerer Recherche bin ich dann endlich auf die Ursache gestoßen:
der Abney-Effekt ist schuld.
Der Abney-Effekt beschreibt das Phänomen, dass wir Menschen einen veränderten Buntton wahrnehmen, wenn einer Spektralfarbe Weiß hinzufügt wird, obwohl sich dann eigentlich nur ihre Helligkeit ändern sollte. Dabei bleibt die Wellenlänge (der farbmetrische Wert des Bunttons) an sich gleich, aber unsere Wahrnehmung weicht davon ab. Der Effekt ist also eher psychologischer als physikalisch-technischer Natur.
Der Abney-Effekt in weiteren Farbverläufen und deren optisch korrigierte Versionen
Warum wir Menschen diese Verschiebung des Bunttons wahrnehmen, ist auch über 100 Jahre nach der ersten wissenschaftlichen Beschreibung des Effekts (1910 durch Sir William de Wiveleslie Abney), noch nicht endgültig geklärt. Bis vor einigen Jahren ging man davon aus, dass es mit der unterschiedlichen Empfindlichkeit der Farbrezeptoren unserer Netzhaut (Stäbchen für Rot, Grün und Blau und Zapfen für die Helligkeit) zusammenhängt. Jüngere Forschungen kommen zu dem Schluss, dass eine Art Filterprozess im Gehirn für den Effekt verantwortlich ist.
Ähnliche Phänomene treten bei dem Bezold-Brücke-Effekt (Verhältnis Farbton–Intensität), dem Helmholtz-Kohlrausch-Effekt (Verhältnis Helligkeit–Sättigung) sowie dem Hunt- und dem Stevens-Effekt (Verhältnis Helligkeit–Farbigkeit bzw. Helligkeit–Kontrast) auf.
Für den Abney-Effekt bleibt festzuhalten, dass Helligkeit und Farbton in unserer Wahrnehmung nicht immer unabhängig voneinander sind, sondern gemeinsam zu betrachten sind. Besonders betroffen sind die beiden Enden des sichtbaren Spektrums, also die roten bis orangen und blauen bis violetten Farben. Im mittleren Bereich des Spektrums von Gelb, Grün und Cyan ist der Effekt nur schwach ausgeprägt. Am stärksten ist der Effekt jeweils in den Mitteltönen der entsprechenden Farbe zu beobachten.
Ein als bunttongleich empfundener Farbverlauf nach Weiß folgt in der Normfarbtafel („Schuhsole“) demnach nicht einer geraden Linie vom äußeren gesättigten Farbton zum Weißpunkt in der Mitte, sondern beschreibt eine Kurve.
Abbildungen aus Yoko Mizokami et al.: „Nonlinearities in color coding. […].“ (2006)
Wenn ich also eine hellere und nicht im Buntton verschobene Abstufung meines dunkelblauen Farbtons erreichen möchte, reicht es nicht, Weiß hinzuzufügen bzw. die Farbwerte nach Weiß zu verschieben – dies entspräche einer Geraden in der Normfarbtafel – egal ob ich dies durch geringeren Farbauftrag in CMYK, Leuchtkraft in RGB, Lab oder HSB steuere. Vielmehr muss ich die Abweichung der Wahrnehmung von der Farbmetrik korrigieren, also Farbwerte entlang der entsprechenden Kurve wählen.
Ich habe wie gesagt versucht die Farbstiche optisch zu korrigieren. In der Tendenz müssen Blau-Abstufungen in den mittleren Tonwerten ca. 7% weniger Magenta enthalten, Rot-Abstufungen entsprechend ca. 7% weniger Gelb.
Leider habe ich weder Farbmodelle, Farbprofile oder Korrekturtabellen oder ähnliches gefunden, die den Abney-Effekt (und einige der oben genannten anderen Effekte) berücksichtigen. Wenn jemand einen Weg kennt, den Effekt mehr oder weniger automatisiert auszugleichen, wäre ich über einen Hinweis hier in den Kommentaren, per E-Mail oder Twitter (@reingestalter) sehr dankbar und ergänze dies hier entsprechend.